Mattermorphosis präsentiert neun Werke von Teilnehmer:innen der European Funken-Summer School. Es erzählt auch von dem Prozess selbst, in dem Künstler in Fraunhofer-Instituten experimentierten – durch Zusammenfügen von DNA, Bildhauen aus mit Myzel gesättigtem Substrat und Umwandlung von Informationen in virtuelle Daten, die dann zu präzisen Metallstrukturen verarbeitet wurden. Mattermorphosis zeigt die Ergebnisse dieser Erkundungen.
Die Installationen, welche gleichzeitig im WRO Art Center und IP Studio platziert sind, schaffen eine verwobene, vielschichtige Erzählung über technologische Transformationen und deren Auswirkungen auf Material, unsere Umwelt, Körper und unser Verhalten.
Mattermorphosis führt uns auf eine Reise durch die komplexe und paradoxe Natur der Materialien, mit denen die Teilnehmer:innen der Funken-Akademie European Summer School für künstlerisch-technologische Forschung arbeiteten. Sie stellten sich den Herausforderungen, mutierende Formen einzufangen, darzustellen und zu bewahren. Sie konfrontierten die unfassbare Materie des Nanomaßstabs und formten unsichtbare Strukturen mittels DNA-Origami. Sie erkundeten die Verletzlichkeit organischer Systeme, während sie versuchten, die richtigen Bedingungen für das Wachstum und den Umgang mit unvorhersehbarer Materie (Myzel) zu schaffen. Schließlich unterwarfen sie sich den sehr strengen Regeln des Arbeitens mit Maschinen und versuchten, Informationen und Daten in Metallartefakte zu kodieren. Aufgaben, die in den Fraunhofer-Laboren nach sehr präzisen Verfahren, Anweisungen und Behandlungsprotokollen durchgeführt werden, führten nicht immer zu den erwarteten Ergebnissen: Materialien konnten sich zersetzen, Störungen auftreten. Die Materialität offenbarte ihre ambige Identität, Relationalität und Multivalenz und wies damit auf die Grenzen der Werkzeuge, unserer Sprache, des Wissens und des Verständnisses hin.
Trotz der Vielfalt der von den Mentoren der drei Kurse (Carolin Liebl & Nikolas Schmid-Pfähler, Paweł Janicki, Noor Stenfert Kroese) vorgeschlagenen Themen und separaten technologischen Schwerpunkten überschnitten sich bestimmte Forschungsthemen und -prozesse sowie einige spezifische künstlerische Fäden und Sensibilitäten unabhängig von den Gruppen. Die Verbindung war die aktive Rolle der Materie und ihre Beteiligung an der Gestaltung verschiedener Aspekte der Realität entlang eines Spektrums von Spekulation bis zur Handlungsmacht. Die Entwicklung und der Fortschritt der Technologie, ihr Einfluss auf die Evolution und Transformation der Welt, bildeten den Kontext für die Forschung. Die ungezügelte Vorstellungskraft und kreative Freiheit der Teilnehmer:innen trieb den gesamten Prozess an, der zur Schaffung von Werken führte, die in ihrer Materie vielfältig und in ihren Formen variabel sind (kinetische Skulpturen, interaktive Installationen, virtuelle Umgebungen, generative Klanginstallationen).
Rätselhafte Taxa, mutierende Körper und die Kultivierung von Fulguriten
Charlotte Roschka präsentiert einen geheimnisvollen Organismus, welcher aufgrund unzureichender Daten, mehrdeutiger Merkmale und spontanen Verhaltens der Systematik und Taxonomie entgeht. In ihrer Arbeit Insertae Sedis (rätselhafte Taxa) erschafft sie eine kinetische Skulptur, die den Prozess des DNA-Faltens (DNA-Origami) hin zu einer stabilen und selbsttragenden Struktur (selbststützendes System) nachahmt. Sie verwendet ein auf Genen und Bildern von Körperstrukturen von Organismen trainiertes maschinelles Lernmodell, nutzt genetisches Material als künstlerisches Medium und spekuliert über zukünftige, bisher unidentifizierte Arten und Formen. Pai Litzenberger modelliert einen wandelbaren, vorgestellten Organismus, der verschiedene Reiche durchquert (von einem digitalen 3D-Modell zu einer ephemeren Eisstruktur). Sie formen und verformen dessen Identität durch Gesten mikroperformativer Natur (Ghostly Collector). Amelie Vierbuchen führt uns in das chaotische Reich der Fulgurit-Kultivierung. Sie leiten uns durch den Prozess von einem Blitzschlag, bei dem extrem hohe Temperaturen erzeugt werden, bis zum Schmelzen der Mineralien und der Verfestigung kristalliner Strukturen. Sie versuchen, diesen natürlichen Prozess des inversen Wachstumsmechanismus innerhalb einer präzisen Metall-Druckmaschine nachzubilden (_ _ harvest).
Dramaturgie von Primzahlen, in RNA gespeicherte Daten, die Schublade des Druckers und ein Lebenscode
Erwin Jeneralczyk sucht nach Mustern (Rhythmus) in mathematischen Sequenzen, wie z.B. Primzahlen (Analyse der ersten Million). Inspiriert von Theorien der Emergenz und des Chaos entdeckt er subtile Abhängigkeiten und visualisiert geordnete Muster, die seine Reise in die Tiefen von Rauschen und Signal erweitern (Safeness). Als Duo konstruieren Jonathan Joosten und Hendrik Klatte eine rhizomatische Struktur, ein heterogenes Ökosystem aus Pilzen, Mineralien und gefundenen Objekten, die sie in eine alte Druckerschublade platzieren. Die zuvor unzusammenhängenden Objekte der Privatsammlung werden zu Komponenten eines zeitgenössischen modularen Synthesizers (Ein Akt des Ankommens (oder Sichtbarwerdens)). Sohyun Lee fragt sich, ob (fremde) Erinnerungen in unseren Körpern kodiert werden können? Gemäß der molekularbiologischen Forschung, die von Oded Rechavis Team entwickelt wird, können Erinnerungen zwischen Generationen übertragen werden (epigenetische Vererbung und RNA-Funktionen). Bestimmte Erfahrungen beeinflussen unsere Gene. Eine spezifische Art von Wissen kann auf zellulärer Ebene vererbt werden, und der Körper wird zu einem Speicher biologischer Daten. In The Case of Data Worm transformiert die Künstlerin eine enorme Menge an RNA-Daten in ein 3D-Modell und erschafft daraus eine Metallstruktur. Laura Leppert erstellt ein visuelles Essay, das die Bilder und Obsessionen verfolgt, die mit DNA assoziiert sind. Sie untersucht die wissenschaftliche Metapher der DNA als „Lebenscode“ – eine universelle Sprache ohne Autor. Sie führt uns durch historische Prozesse der Wissensproduktion, die im Laufe der Zeit zur Mythologie werden. Zwischen Wissenschaft und Fiktion pendelnd folgt sie dem Code – von nanotechnologischen Laboren über das Naturkundemuseum bis hin zu komplexen Systemen der Informationskodierung und -dekodierung, den schwarzen Kästen von Big-Data-Algorithmen (Code oder Chrysalis).
Nebenwirkungen, Hybride und organische Maschinerie, Zusammenarbeit oder Ausbeutung
Eugénie Desmedt betrachtet die Prozesse der Erstellung eines künstlerischen Werks unter Verwendung organischer Materie (vom Wachstum bis zum Verfall von Reishi-Pilzen). Die bewusste Verwendung des Materials führt zu Reflexionen über dessen Status – von einem freundlichen Verbündeten bis hin zu einer Substanz, die nur schwer Kooperation eingeht und Unterordnung und Kontrolle erfordert (Wie man mit einem Material verhandelt). Sonia Kujawa setzt dieses Thema fort, indem sie Fragen nach Chancen und Risikofaktoren beim Aufbau symbiotischer Beziehungen auf der Basis der Zusammenarbeit mit organischer Materie (Myzel) aufwirft. Wo endet die feine Linie zwischen Kooperation und Kreation und beginnt Ausbeutung und Kontrolle? Die Arbeit mit einem sensiblen Organismus erfordert Abstimmung. Unsachgemäß gehandhabte Protokolle zerstören das Material. Diese Erfahrungen auf das Netzwerk von Pflanze-Technologie-Mensch übertragend, schafft sie eine Installation, in der eine Japanische Weide (bemerkenswert widerstandsfähig und bestimmt trotz ihres fragilen Aussehens und ihrer Zärtlichkeit) verbunden mit Elektronik einer Lichtquelle folgt, die vom Betrachter gesteuert wird. Die eher grausame Choreografie von konditionierten Reflexen schafft gleichzeitig eine Abhängigkeitsbeziehung, die überraschend faszinierend zu beobachten ist. Ein seltsames Nebenprodukt des Fortschritts tritt zutage (Symbionische Angelegenheiten).
Materie fühlt, konversiert, leidet, begehrt, sehnt sich und erinnert sich / Karen Barad
Künstler:innen: Eugénie Desmedt, Charlotte Roschka, Erwin Jeneralczyk, Jonathan Joosten, Hendrik Klatte, Sonia Kujawa, Laura Leppert, Sohyun Lee, Pai Litzenberger, Amelie Vierbuchen
Kuratorin: Dominika Kluszczyk
Vorauswahlteam: Ben Balcerzak, Dagmara Domagała, Kinga Gralak, Paweł Janicki, Zuzanna Jaworska, Tola Kita, Dominika Kluszczyk, Nari Kutlubasis, Mariia Serhiienko, Gosia Wrzosek
Produktion und Koordination: Zuzanna Jaworska, Mariia Serhiienko
Visuelle Identität: Kinga Gralak
Mentorenteam der Funken-Akademie European Summer School: Carolin Liebl & Nikolas Schmid-Pfähler, Paweł Janicki, Noor Stenfert Kroese
Konsortium: Klub Solitaer (Chemnitz), Ars Electronica (Linz), WRO Art Center (Wrocław)
Technologiepartner: Fraunhofer ENAS (Chemnitz), Fraunhofer IWU (Dresden), Ars Electronica BioLab (Linz)
Die Ausstellung wird mit Unterstützung der Gemeinde Breslau | wroclaw.pl, der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit und der Europäischen Union im Rahmen des Programms „Kreatives Europa“ durchgeführt.
Es wurde DNA gefaltet und myzelhaltiges Substrat geformt, Informationen wurden in virtuelle Daten transformiert und zu feinen Metallstrukturen verarbeitet.
Am Nachmittag des 13.10.2023 gab eine öffentliche Präsentation auf dem Technologie Campus in Chemnitz es die Gelegenheit, einen Einblick in das vorläufige Ergebnis der Summer School zu bekommen und in den Austausch mit allen Beteiligten zu gehen.Anschließend werden die künstlerischen Arbeiten final aufbereitet und in 2024 auf eine europäische Ausstellungstournee geschickt.
In den nächsten vier Monaten werden die 30 Teilnehmer:innen unter der Leitung von drei Mentoren zusammenarbeiten, um zu forschen, Ideen zu entwickeln und sich mit Wissenschaftlern aus renommierten Fraunhofer-Instituten auszutauschen. Das übergreifende Ziel der Initiative ist es, Katalysationsprozesse von Innovationen anzustoßen und einen nahtlosen Austausch zwischen Kunst, Kultur, Wissenschaft und Hightech zu fördern. Letztendlich sollen Lernerfahrung für alle Beteiligten geschaffen werden, deren Ergebnisse in der Ausstellung auf renommierten Veranstaltungen wie der Ars Electronica und dem WRO Art Center sowie der Kulturhauptstadt Chemnitz 2025 gipfelt.
Während der Auftaktveranstaltung hielt Jurij Krpan von der slowenischen Kunst- und Wissenschaftseinrichtung BioTehna der Kapelica Galerie eine inspirierende Grundsatzrede, in der er die Rolle der Teilnehmer:innen als Katalysatoren im gesellschaftlichen Innovationsprozess hervorhob. Solche Katalysatoren können die Bereiche Kunst, Kultur, Wissenschaft und Technologie in für einen Moment in Einklang bringen und neue Verbindungen schaffen, die das Potenzial haben, die Grenzen der Kreativität zu erweitern und die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu fördern.
Im weiteren Verlauf machten sich die teilnehmenden Künstler:innen gemeinsam mit den Forschungspartner:innen mit Grundlagen, Verfahren, Werkzeugen, Maschinen, Materialien und Laboreinrichtungen vertraut, welche die Ressourcen der kommenden künstlerischen Forschung und Entwicklung in den von ihnen gewählten Themenfeldern bilden.
Das Unsichtbare formen: Faltung von DNA-Strängen und Rendering von Strukturen im Nanomaßstab
Unter der Leitung von Carolin Liebl und Nikolas Schmid-Pfähler erforscht die Gruppe die komplizierte Welt der DNA-Faltung und von Strukturen im Nanomaßstab. Am Zentrum für Mikrotechnologien der TU Chemnitz in Kooperation mit dem Fraunhofer ENAS tauchen die Teilnehmer:innen in die Nanosphäre ein.
Metal Data Solid Culture – Informationen und ihr Schutz als künstlerisches Medium
Unter der Leitung von PAWEL JANICKI am FRAUNHOFER IWU untersucht dieses Projekt Formen des Informationsschutzes durch Formung und Verschlüsselung mit künstlerischen Ausdrucks. Die KünstlerInnen werden erforschen, wie Daten in Metallformen codifiziert zusammenkommen, um Werke zu schaffen, die unsere Wahrnehmung von Informationen und deren Bewahrung in Frage stellen.
I N T E R S P A C E Ko-Kreation mit Pilzen
Unter der Leitung von NOOR STENFERT KROESE am FRAUNHOFER IWU wagt dieses Projekt einen Sprung in die Welt der gemeinsamen Kreation mit Pilzen. Die Künstler:innen werden die symbiotische Beziehung zwischen Menschen und Pilzen erforschen und Objekte schaffen, die die tiefgreifenden Verbindungen zwischen der natürlichen und unserer Welt widerspiegelt.
Mit dem Auftakt sind die Grundlagen für die individuellen künstlerischen Projekte gelegt. Die kommenden Wochen versprechen viele Entdeckungen. Wir halten Euch auf dem Laufenden.
Die Technologien, die die Forschungspartner zur Verfügung stellen, bieten Künstler:innen spezifische und neuartige Möglichkeiten in der Arbeit mit Materialien, wie Metall, DNA und Pilzen. Während der Dauer des Kurses werden sie eingesetzt die Möglichkeiten der künstlerischen Gestaltung und Modellierung zu erweitern. Gleichzeitig laden wir die Teilnehmenden ein, die technologischen Verfahren künstlerisch zu reflektieren.
Die LBPF-Technologie ermöglicht die Herstellung filigraner Vollmetallstrukturen in einem 3D-Druckverfahren. In einem anderen 3D-Druckverfahren können selbstwachsende, sich entwickelnde Strukturen aus einem mit Myzelien imprägnierten Substrat hergestellt werden. Mit einer anderen Technologie und in einer völlig anderen Dimension können DNA-Stränge auf nanoskopischer Ebene gefaltet werden.
Die FUNKEN Academy wird mit diesen Technologien experimentieren und den Fragen nachgehen:
- Wie prägt der Hightech-Zugang zu Material den menschlichen und künstlerischen Umgang mit Ressourcen?
- Was passiert, wenn wir uns für kreative Interventionen auf eine Reise in die Nanosphäre begeben?
- Was entsteht, wenn wir mit technischen Mitteln in Zusammenarbeit mit einer anderen Spezies gestalten und formen?
- Welche Codes und Botschaften werden in Zukunft wichtiger sein als ihr materieller Wert?
Ausführliche Information zu den Kursen:
- Shaping the Invisible – Folding of DNA strands and rendering structures in nano scale | Carolin Liebl and Nikolas Schmid-Pfähler | Fraunhofer ENAS
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I N T E R S P A C E Co-creation with fungi | Noor Stenfert Kroese | Fraunhofer IWU
The detailed Open Call can be downloaded here: